Der "vollhohle" Schliff wurde eigentlich erst 1873 mit der Erfindung und Patentierung der Hohlschleifmaschine von ERN im Massenmarkt eingeführt.
Hieraus resultiert auch der Doppelansatz - das Wort Stabilisator ist irreführend, denn der Ansatz dient nicht der Stabilisation der Klinge - der Solinger sagt Schulter dazu.
Die Schulter resultiert aus dem Schleifvorgang des geschmiedeten oder geschlagenen Rohlings zur Klinge.
Sogenannte Scharsach- oder Badermesser mit festem Erl und Griff gab es bereits seit der Römerzeit, erst aus Bronce, dann aus Eisen, später aus Stahl.
Ab ca. 1650 gab es Rasiermesser in der Art wie man heute Touristen- Souveniermesser aus China, Indien und Pakistan kennt, mit dickem gebogenen Rücken und Keilschliff, den spitzen langen Erl in einen Holzstab oder zwei Holzschalen genietet.
Ab ca. 1720-30 wurde das, was wir heute formsprachlich als zusammenklappbares Rasiermesser kennen, noch auf großen Steinen geschliffen, der Durchmesser bestimmte dabei die geringe Hohlung des Blattes. Das passierte damals noch nicht in Solingen, sondern erstmal in Thiers und Sheffield.
Ehrgeizige Schmiede und Schleifer versuchten über die Zeit, den Schliff zu verbessern und so entstanden um 1850 Faux-Framebacks mit Tangentialschliff und erste Hand-Hohlschliffe mit kleineren Steinen, was aber ausgeprägtes handwerkliches Können bedingte.
Hier kommt dann Solingen langsam ins Spiel. Dort hatte man seit ca. 1500 Erfahrung mit Blankwaffen und Langmessern, die Mitte des 19. Jahrhundert ebenfalls schon hohlgeschliffen wurden, aber aus der Herstellung der kleinen und aufwändigen Rasiermesser hatte man sich bis dato (mit Ausnahmen) herausgehalten.
Baus, Blasberg, Picard, Stoll und Herder waren die ersten, die ab ca. 1850 handhohlgeschliffene Rasiermesser aus eigenen Schmiederohlingen vermarkteten und damit guten Erflog hatten.
Der Vollhohlschliff mit Wall und Doppelschulter kam aber quasi erst mit der maschinellen Bearbeitung in den 1870-80ern auf und erreichte seinen weltmarktbeherrschenden Höhepunkt ab ca. 1910 bis in die späten 1920er. Schon ab ca. 1900 wurde jedoch das Rasiermesser langsam aber stetig immer mehr vom Hobel verdrängt.
Eine weitere Altersbestimmung in den frühen Jahren des Rasiermessers läßt sich an der Angel festmachen. 1650-1700 hatte der Erl eine Spitzangel, die dann bis 1750 immer kürzer wurde, um ca. 1770-80 zum gekrümmten Stumpf (stubtail) zu werden. Dieser wurde dann langsam immer länger und dünner, bis ca. 1850-60 die Angel entstand, die wir heute kennen und als Fingerauflage nutzen. Die serrierte Erlunterseite (Feile) und die Daumenmulde kamen erst in den 1870-80ern auf.
Es gibt noch weitere Alters-Bestimmungsmerkmale, wie Hersteller- Bild- und Wortmarken oder ganze Adressen, Materialangaben wie ACIER FONDU, CAST STEEL, SILVER STEEL, ELECTRIC STEEL etc. , Gravur oder Grauätzung, bzw. Goldätzung, Art des Heftmaterials und deren Verarbeitung (sofern originles Heft) , aber danach war ja hier nicht gefragt...
Mit scharfen Grüßen aus der Klingenstadt
Rainer