MaydayGuard
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Vor wenigen Tagen unterhielt ich mich mit einem befreundeten Forums-Mitglied über gehäufte Nachrichten, daß sich in Deutschland wieder Wölfe angesiedelt haben.
Dabei fiel mir ein, daß ich ein Rasiermesser habe, welches ich schon länger hier im Forum vorstellen wollte. Heute kam ich dazu, es zu fotografieren.
Es handelt sich um ein Messer eines relativ unbekannten Herstellers, dessen Geschichte ich umso interessanter finde. Es geht um die Firma „Liesé & Cie“ aus Wald (manchmal auch Liesé & Co geschrieben). Ein Messer dieses Herstellers sah ich bereits vor ein paar Jahren in einem russisch-sprachigen Forum und dort wurde vermutet, daß es einen Zusammenhang mit der Firma von Gustav Adolf Merx in Wald geben könnte, der aber nicht belegt werden konnte.
Fasziniert hat mich das auf der Erl-Rückseite geprägte Warenzeichen, das (wie es in der Eintragung des Warenzeichens bei kaiserlichen Patentamt hieß) einen „eilend dahinfahrenden Schlitten mit verfolgenden Wölfen“ zeigt. Das rief Kindheitserinnerungen bei mir wach, weil mir vor langer Zeit ein ursprünglich aus Ostpreußen stammender Onkel erzählte, daß es in seiner damaligen Heimat in den eisigen Wintern vorkam, dass Schlittengespanne von hungrigen Wölfen verfolgt und teilweise angegriffen wurden. Ob es das tatsächlich gab, vermag ich heute nicht zu beurteilen, als Kind glaubte ich fest daran und empfand etwas Schaurig-gruseliges. Herrlich!
Doch nun weg von nostalgischen Kindheitserinnerungen hin zu einem Kapitel Lokalgeschichte aus Solingen und ein wenig Iserlohner Geschichte.
Hier erst einmal die Bilder des Messers:
Es handelt sich um eine derbe 9/16“ breite Klinge mit kleiner Barber’s Notch und der Klingennummer 77. Auf den Fotos gut zu erkennen ist, dass auf das Pliesten und die Verrundung des Kopfes nicht übermäßig großer Wert gelegt wurde. Den Rasureigenschaften tut das keinen Abbruch und ich benutze dieses Messer immer wieder gerne.
Einer der Firmengründer stammte aus Iserlohn. Iserlohn war ebenfalls ein Zentrum der metallverarbeitenden Industrie. Während in Solingen überwiegend Schneidwaren hergestellt wurden, lag in Iserlohn der Schwerpunkt der Metallverarbeitung im Bereich der Herstellung von Nadeln, Feindraht und Reit- und Fahrgeschirren sowie der Verarbeitung von Metallen (Bronze, Messing, Zink und Nickel).
In den 1890er Jahren ging es vielen Firmen in Iserlohn wirtschaftlich nicht gut.
Möglicherweise war das die Ursache dafür, dass Schlosser aus Iserlohn in den Solinger Bezirk abwanderten. In dem Beitrag über die Gebrüder Geldmacher hatte ich geschrieben, dass der Vater der drei Brüder, die alle Rasiermesserfabrikanten wurden, von Iserlohn nach Wald umgezogen war.
Hier ein weiteres Beispiel eines solchen Wechsels:
Friedrich Liesé (der Nachname wurde manchmal ohne und manchmal mit Accent aigu (é) geschrieben), lebte als Schlosser in Iserlohn. 1894 ließ er sich ein Gebrauchsmuster für Sporen eintragen. 1894/95 muss er in die Stadt Wald gezogen sein, um dort eine Reit- und Fahrgeschirr-Fabrik zu gründen, die Firma Liesé & Cie. Inhaber der Firma waren Friedrich Liesé und Emil Müllenschläder. Emil Müllenschläder war zu der Zeit ein in Wald sehr bekannter Bauunternehmer und betrieb seine Baufirma seit den 1880er Jahren.
Mit der Gründung der Firma Liesé & Cie zum 1. Januar 1895 wurde ein neuer Industriezweig in Wald etabliert. Adresse der Fabrik war die Kaiserstraße 83. [Den Straßennamen gibt es heute nicht mehr. Die Kaiserstraße in Wald wurde nach 1921 in ,,Hauptstraße" umbenannt und behielt diesen Namen bis 1935. Dann erfolgte eine Umbenennung in ,,Göringstraße" und 1945 erhielt sie ihren heutigen Namen ,,Friedrich-Ebert-Straße".]
Lange hielt es Friedrich Liesé nicht in der Stadt Wald. Bereits Anfang 1896 verließ er die Firma, alleiniger Inhaber war nun Emil Müllenschläder, die Firmenadresse wechselte zur Steinstraße 19 in Wald.
Am 20. März 1905 übernahm der Fabrikant Gustav Adolf Merx, der eine Messerschlägerei und Schleiferei in Wald besaß die Firma Liesé & Cie. [Die eigentliche Firma von Gustav Adolf Merx wurde 1887 gegründet und existierte bis 1919, danach gründete er mit seinem Sohn Wilhelm Merx die Firma Merx & Co. Darüber werde ich bei Gelegenheit in einem eigenen Strang etwas schreiben.]
Die beiden mir bekannten Warenzeichen wurden von Gustav Adolf Merx eingetragen, besagtes Schlittengespann im Jahr 1905 und die Wortmarke "Lieco" 1908. Ich habe beide in das letzte Bild kopiert.
Aus den Eintragungen des Warenzeichens lassen sich die hergestellten Produkte ableiten: Sporen, Trensen, Kandaren, Steigbügel, Reit- und Fahrgeschirrbeschläge, Rasiermesser, Rasierapparate, Brot-, Schlacht-, Gemüse und Tischmesser, Scheren und Taschenmesser.
Die Firma Liesé & Cie erlosch im Dezember 1922.
Was wurde aus Friedrich Liesé?
Je nachdem wie man es nennen möchte, durch Glück oder Zufall fand ich heraus, dass er 1897 in Hannover lebte, sein Beruf wurde mit „Sporer“ angegeben. Danach wechselte die Berufsbezeichnung (Schlossergeselle, Mechanikergehilfe) bis er 1909 eine Fahrradbau- und Reparaturwerkstatt in der Vahrenwalderstraße 63b aufmachte. Mit Beginn des ersten Weltkrieges verliert sich die Spur in Hannover. Dafür taucht 1918 ein Friedrich Liese in Lemathe (heute ein Stadtteil von Iserlohn) auf, der eine Tuchwarenhandlung besaß. Ich vermute, dass es der gleiche war. Dann hätte es ihn in die alte Heimat zurückverschlagen und vermutlich war es nach dem verlorenen Krieg 1918 nicht mehr opportun einen französisch klingenden Namen zu haben, weshalb der Accent wegfiel. Dieser Friedrich Liese starb 1939 im Alter von 73 Jahren.
Wieder zurück zum Messer. Das gute Stück ist über 100 Jahre alt und ich konnte es vor 1 ½ Jahren in den USA ausfindig machen. Seitdem ist es wieder „zu Hause“.
Dabei fiel mir ein, daß ich ein Rasiermesser habe, welches ich schon länger hier im Forum vorstellen wollte. Heute kam ich dazu, es zu fotografieren.
Es handelt sich um ein Messer eines relativ unbekannten Herstellers, dessen Geschichte ich umso interessanter finde. Es geht um die Firma „Liesé & Cie“ aus Wald (manchmal auch Liesé & Co geschrieben). Ein Messer dieses Herstellers sah ich bereits vor ein paar Jahren in einem russisch-sprachigen Forum und dort wurde vermutet, daß es einen Zusammenhang mit der Firma von Gustav Adolf Merx in Wald geben könnte, der aber nicht belegt werden konnte.
Fasziniert hat mich das auf der Erl-Rückseite geprägte Warenzeichen, das (wie es in der Eintragung des Warenzeichens bei kaiserlichen Patentamt hieß) einen „eilend dahinfahrenden Schlitten mit verfolgenden Wölfen“ zeigt. Das rief Kindheitserinnerungen bei mir wach, weil mir vor langer Zeit ein ursprünglich aus Ostpreußen stammender Onkel erzählte, daß es in seiner damaligen Heimat in den eisigen Wintern vorkam, dass Schlittengespanne von hungrigen Wölfen verfolgt und teilweise angegriffen wurden. Ob es das tatsächlich gab, vermag ich heute nicht zu beurteilen, als Kind glaubte ich fest daran und empfand etwas Schaurig-gruseliges. Herrlich!
Doch nun weg von nostalgischen Kindheitserinnerungen hin zu einem Kapitel Lokalgeschichte aus Solingen und ein wenig Iserlohner Geschichte.
Hier erst einmal die Bilder des Messers:
Es handelt sich um eine derbe 9/16“ breite Klinge mit kleiner Barber’s Notch und der Klingennummer 77. Auf den Fotos gut zu erkennen ist, dass auf das Pliesten und die Verrundung des Kopfes nicht übermäßig großer Wert gelegt wurde. Den Rasureigenschaften tut das keinen Abbruch und ich benutze dieses Messer immer wieder gerne.
Einer der Firmengründer stammte aus Iserlohn. Iserlohn war ebenfalls ein Zentrum der metallverarbeitenden Industrie. Während in Solingen überwiegend Schneidwaren hergestellt wurden, lag in Iserlohn der Schwerpunkt der Metallverarbeitung im Bereich der Herstellung von Nadeln, Feindraht und Reit- und Fahrgeschirren sowie der Verarbeitung von Metallen (Bronze, Messing, Zink und Nickel).
In den 1890er Jahren ging es vielen Firmen in Iserlohn wirtschaftlich nicht gut.
Möglicherweise war das die Ursache dafür, dass Schlosser aus Iserlohn in den Solinger Bezirk abwanderten. In dem Beitrag über die Gebrüder Geldmacher hatte ich geschrieben, dass der Vater der drei Brüder, die alle Rasiermesserfabrikanten wurden, von Iserlohn nach Wald umgezogen war.
Hier ein weiteres Beispiel eines solchen Wechsels:
Friedrich Liesé (der Nachname wurde manchmal ohne und manchmal mit Accent aigu (é) geschrieben), lebte als Schlosser in Iserlohn. 1894 ließ er sich ein Gebrauchsmuster für Sporen eintragen. 1894/95 muss er in die Stadt Wald gezogen sein, um dort eine Reit- und Fahrgeschirr-Fabrik zu gründen, die Firma Liesé & Cie. Inhaber der Firma waren Friedrich Liesé und Emil Müllenschläder. Emil Müllenschläder war zu der Zeit ein in Wald sehr bekannter Bauunternehmer und betrieb seine Baufirma seit den 1880er Jahren.
Mit der Gründung der Firma Liesé & Cie zum 1. Januar 1895 wurde ein neuer Industriezweig in Wald etabliert. Adresse der Fabrik war die Kaiserstraße 83. [Den Straßennamen gibt es heute nicht mehr. Die Kaiserstraße in Wald wurde nach 1921 in ,,Hauptstraße" umbenannt und behielt diesen Namen bis 1935. Dann erfolgte eine Umbenennung in ,,Göringstraße" und 1945 erhielt sie ihren heutigen Namen ,,Friedrich-Ebert-Straße".]
Lange hielt es Friedrich Liesé nicht in der Stadt Wald. Bereits Anfang 1896 verließ er die Firma, alleiniger Inhaber war nun Emil Müllenschläder, die Firmenadresse wechselte zur Steinstraße 19 in Wald.
Am 20. März 1905 übernahm der Fabrikant Gustav Adolf Merx, der eine Messerschlägerei und Schleiferei in Wald besaß die Firma Liesé & Cie. [Die eigentliche Firma von Gustav Adolf Merx wurde 1887 gegründet und existierte bis 1919, danach gründete er mit seinem Sohn Wilhelm Merx die Firma Merx & Co. Darüber werde ich bei Gelegenheit in einem eigenen Strang etwas schreiben.]
Die beiden mir bekannten Warenzeichen wurden von Gustav Adolf Merx eingetragen, besagtes Schlittengespann im Jahr 1905 und die Wortmarke "Lieco" 1908. Ich habe beide in das letzte Bild kopiert.
Aus den Eintragungen des Warenzeichens lassen sich die hergestellten Produkte ableiten: Sporen, Trensen, Kandaren, Steigbügel, Reit- und Fahrgeschirrbeschläge, Rasiermesser, Rasierapparate, Brot-, Schlacht-, Gemüse und Tischmesser, Scheren und Taschenmesser.
Die Firma Liesé & Cie erlosch im Dezember 1922.
Was wurde aus Friedrich Liesé?
Je nachdem wie man es nennen möchte, durch Glück oder Zufall fand ich heraus, dass er 1897 in Hannover lebte, sein Beruf wurde mit „Sporer“ angegeben. Danach wechselte die Berufsbezeichnung (Schlossergeselle, Mechanikergehilfe) bis er 1909 eine Fahrradbau- und Reparaturwerkstatt in der Vahrenwalderstraße 63b aufmachte. Mit Beginn des ersten Weltkrieges verliert sich die Spur in Hannover. Dafür taucht 1918 ein Friedrich Liese in Lemathe (heute ein Stadtteil von Iserlohn) auf, der eine Tuchwarenhandlung besaß. Ich vermute, dass es der gleiche war. Dann hätte es ihn in die alte Heimat zurückverschlagen und vermutlich war es nach dem verlorenen Krieg 1918 nicht mehr opportun einen französisch klingenden Namen zu haben, weshalb der Accent wegfiel. Dieser Friedrich Liese starb 1939 im Alter von 73 Jahren.
Wieder zurück zum Messer. Das gute Stück ist über 100 Jahre alt und ich konnte es vor 1 ½ Jahren in den USA ausfindig machen. Seitdem ist es wieder „zu Hause“.