Vermutlich werden einige/viele/die meisten von euch den Kopf schütteln und sich sagen "Der spinnt doch, der Captain" oder "Jetzt dreht der Kerl aber komplett durch."
Damit werde ich leben müssen.
Gerade die letzten fünf, sechs Monate des Experimentierens mit unterschiedlichen Hobeln, Klingen bzw. den damit möglichen Kombinationen, Rasiercremes und Pinseln haben mich der Erkenntnis näher gebracht, dass für mich das höchste Rasierglück in der Beschränkung auf die notwendigen, aber dennoch nicht minder luxuriösen Dinge liegt. Für mich verkörpert sich dieses Glück in der Umsetzung eines berühmten Zitats, welches oftmals fälschlicherweise Oscar Wilde zugeschrieben wird, obgleich es von
and I will willingly do without the necessities." (Gebt mir die luxuriösen Dinge des Lebens und ich verzichte gerne auf die notwendigen.") Mache ich mir damit und dabei zu viele Gedanken um Nebensächlichkeiten? Oder reflektiere ich kritisch - und hoffentlich auch selbstkritisch, vor allem
- die Natur des Rasierens und der dazu benötigten Dinge, um herauszufinden, "was die Welt im Innersten zusammenhält", wie es schon Goethe den
sagen lässt, und dass, obwohl es sich bei mir nur um den Zusammenhalt meiner ganz persönliche Rasur-Welt dreht? Ist mein Streben nach einer Beschränkung auf das (durchaus luxuriöse) Notwendige, die Suche nach dem Minimalismus als Pragmatismus zu verstehen oder doch schon als Obsession? Dieses Urteil kann ich zumindest momentan nicht fällen, daher überlasse ich es euch, den geneigten Lesern. Im folgenden einige Überlegungen zum Thema:
Hardware
Im Zentrum des Nassrasur-Universums steht für mich der
Rasierer, in meinem Fall ein klassischer, dreiteiliger Hobel. Die Liste der Hobel, die ich ausprobiert habe, ist lang; es liegt jedoch nicht mehr in meiner Absicht, diese Liste immer länger und länger werden zu lassen. Denn diese Liste - die Gefahr droht mir - könnte sonst im wahrsten Wortsinn "lebenslang" werden; quasi die Höchststrafe. Denn ich habe meinen persönlichen Traum-Rasierer, meinen "Exit-Hobel" vor knapp zwei Jahren gefunden. Kein Hobel davor oder danach hat mich auch annähernd so überzeugt. An diesem Rasierer ist für mich alles so vollkommen, wie es in dieser unvollkommenen Welt nur möglich ist. Mit diesem Hobel gelingen mir mühelos sanfte, gründliche, nachhaltige und verletzungsfreie Rasuren, besser als mit jedem anderen von mir getesteten Rasierer.
Da ein Rasierer nichts ist ohne eine
Klinge, steht letztere faktisch gleichberechtigt mit dem Hobel auf einer Stufe; zusammen bilden Hobel und Klinge eine Einheit, deren einziger "Lebens"inhalt aus der möglichst gründlichen, nachhaltigen und dabei sanften, hautschonenden Beseitigung von Bartstoppeln bzw. Haaren besteht. Die Liste der von mir mehr oder weniger ausführlich getesteten Klingen ist mindestens drei- oder viermal so lang wie die der von mir ausprobierten Hobel. Vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren habe ich meine persönliche Traumklinge gefunden, wenngleich es drei weitere gibt, mit denen ich ebenfalls gut bis sehr gut zurechtkomme und von denen ich eine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut kaufen werde. Ähnlich wie beim Hobel bin ich mir mittlerweile darüber im Klaren geworden, dass ich eigentlich nicht mehr weiter experimentieren möchte. Denn wie beim Hobel wohnt einem lebenslangen Testen für mich tendenziell Höchststrafen-Charakter inne, auch deshalb, weil der Preis für ein wenig Erkenntnis eine unbestimmte Menge meiner heilen Haut ist.
Was wäre eine klassische Nassrasur ohne guten Rasierschaum? Richtig, im besten Fall eine mühselige Angelegenheit, im Normalfall dürfte es eher eine Quälerei werden. Die letzten Wochen haben mich zu der Einsicht gebracht, dass mir Rasierschaum, wenn ich ihn in einer Schale oder einem Tiegel aufschlage, deutlich besser gelingt, als wenn ich meine Rasiercreme im Gesicht aufschäume. Die Anschaffung eines entsprechenden
Rasiertiegels war eine Handlung, die dieser Einsicht folgte. Ist mein Streben nach Minimalismus dadurch in Gefahr geraten? You be the judge! - Das müsst ihr beurteilen!
Beim
Pinsel habe ich mich auf eine monogame Dreierbeziehung festgelegt.
Klingt paradox, ist aber leicht zu verstehen: Ich verwende, nach dem Ausprobieren nur weniger Alternativen, seit Jahren den gleichen Pinseltyp, bloß in zwei verschiedenen Größen. Damit bin ich so glücklich wie nur möglich, denn die diesen Pinseln eigene Mischung aus der Fähigkeit, auch harte Seifen aufzuschäumen, mit wenig Material auszukommen, robust und unempfindlich zu sein und dabei auch noch weich und hautschonend, und das alles auch noch zu einem vertretbaren Preis, hat mich von Anfang an überzeugt. Weitere Tests könnten vielleicht dazu führen, dass sich ein Pinsel findet, der in der einen oder anderen Eigenschaft einen Hauch besser abschneidet, aber die Chancen darauf sind m. E. nicht hoch und die finanziellen Aufwendungen stehen dabei in keinem vor mir selbst zu rechtfertigenden Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen. Im Klartext: Weitere Pinsel-Tests meinerseits sind nicht zu erwarten.
Software
Ich komme zu dem Stoff, aus dem die Schäume sind. Hier gelangte ich schon vor längerer Zeit zu der Erkenntnis, dass ich kein Typ für Rasierseifen, sondern für
Rasiercremes bin, welche mir unkomplizierter in der Verarbeitung und tendenziell hautfreundlicher erscheinen als Seifen. Da es hier um etwas geht, das man sich buchstäblich auf die Haut schmiert, sollten die Inhaltstoffe möglichst unbedenklich und umweltfreundlich sein. Einen für mich möglichst angenehmen Geruch sollten die Creme und der daraus generierte Schaum auch verströmen. Auch hier fand ich vor gut zweieinhalb Jahren den Weg in mein persönliches Rasiercreme-Nirwana, wenngleich in den letzten vier Monaten zwei von drei getesteten Cremes "flankierend" zu meiner einen hinzugekommen sind. Werde ich eine oder gar beide neuen Cremes wieder kaufen, wenn sie verbraucht sind? Ich weiß es nicht. Werde ich weitere Cremes testen? Möglich ist es, aber geplant ist noch nichts dergleichen.
Beim
Rasierwasser halte ich es sehr einfach: "mein" Rasierwasser fand ich bereits vor beinahe vier Jahrzehnten, daran hat sich nichts geändert. Es gibt noch ein weiteres Aftershave, das regelmäßig zum Einsatz gelangt, doch das verwende ich nie direkt nach der Rasur, sondern trage es ausschließlich als Parfüm. Zwischendurch habe ich auch mal das eine oder andere Rasierwasser ausprobiert, bin aber letztlich bei keinem anderen dauerhaft geblieben als bei dem einen "meinen."
Ich werde nicht ausschließen, dass ich auch zukünftig mal das eine oder andere Aftershave testen werde, aber eine "Wachablösung" steht dabei nicht zur Debatte.
Alternative: Messern statt Hobeln?
Man sagt, die Messerrasur sei die Königsdisziplin der klassischen Nassrasur. Ich gebe zu, dass mich der Gedanke daran fasziniert, mir mit einem Messer ganz lässig die Stoppeln aus dem Gesicht zu wischen. Doch weiß ich einfach um meine begrenzten motorischen Fähigkeiten: Mit einem Messer oder Wechselklingenmesser bzw. einer Shavette würde ich eher mein Gesicht filettieren als mich zu rasieren. Ich schließe Messer und Shavetten für mich aus und sage mir, dass Königsdisziplinen für Könige gedacht sind bzw. für jene, die König werden wollen oder sich bereits für einen solchen halten. Ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Bürgerlicher und in der Sicherheitsbranche tätig, daher ist für mich ein bürgerlicher Sicherheitsrasierer geradezu präsdestiniert.
Zu meiner am Beginn dieses Diskussionsfadens vorgestellten "Einsamen-Insel"-Ausstattung hat sich ein praktischer Rasiertiegel gesellt. Ansonsten habe ich festgestellt, dass ich von all dem, was ich in den letzten Monaten getestet habe, nichts ernsthaft benötige. Es war sehr abwechselungsreich und es hat mich auch weitergebracht, und zwar in der Hinsicht, dass ich mir nunmehr noch sicherer bin, dass ich mit dem von mir ursprünglich zusammengestellten Rasierzeug mein persönliches Rasur-Nirwana schon so gut wie erreicht habe. Die Frage allerdings, ob mein Streben nach Minimalismus nun meinem Hang zu pragmatischen Lösungen entspricht oder doch schon als Obsession, als fast schon zwanghaftes Streben nach an Monotonie grenzender Reduktion auf das absolut Wesentliche, anzusehen ist, die kann ich mir selbst nicht beantworten.