Der Wuttig ist ein Exot unter den Rasierhobeln. Nicht im auffälligen, exaltierten Sinne, stattdessen von unaufdringlicher Eigenständigkeit.
Packt man ihn aus, fällt erst einmal das ungewöhnlich niedrige Gewicht auf. Ich kenne keinen leichteren Hobel, wobei ich ergänzen muss, dass ich ausschließlich vollständig metallene besitze und folglich nur solche vergleiche. Gegenüber dem verbreiteten Zamak oder erst recht Messing nimmt sich Aluminium natürlich federleicht aus.
Obendrein weist der Wuttig eine ungewöhnliche Farbe auf. Vordergründig handelt es sich um einen zwar metallartigen Goldton, dieser ist aber auffallend matt. Optisch fühlt man sich vielleicht an Gold und Silber aus dem Wasserfarbkasten erinnert. Oder an Küchenhilfen aus Aluguss, welche versehentlich das maschinelle Spülen durchlebt haben. Im Fall des Wuttig natürlich golden und keineswegs so scheckig, aber von ähnlich diffusem, unpoliertem Glanz, oberflächlich fast ein wenig wie transparent wirkend. Playmobil-Schwert!? Hinzu kommt dieser Stich ins Grünliche, welcher je nach Lichtquelle mal vernehmlich mehr, mal weniger stark durchkommt. Kryptonit!?
Den Wuttig jedoch als der Spielzeug- und Comicwelt entsprungen zu beschreiben, wäre weit gefehlt. Er fasst sich sehr robust an, vermittelt einen überraschend soliden Eindruck. Überhaupt, die Verarbeitung: Sie lässt nicht den geringsten Zweifel aufkommen. Jede Kante, jeder Winkel des Kopfes, die feinen Ziselierungen des Griffes sind maximal sauber und derart steilflankig ausgearbeitet, dass sich spätestens hier wieder der Feininstrumentenbau in den assoziativen Vordergrund spielt.
Der Hobel ist ein Zweiteiler, Griff und Bodenplatte sind fest verbunden, das Gewinde des Deckels wird am drehbaren Griffende angespannt bzw. wieder gelöst. Unter der Voraussetzung, dass ein Rasierer stimmig konstruiert, ein wildes Kombinieren unterschiedlicher Griffvarianten nicht vonnöten ist, empfinde ich dies als das elegantere Konzept. Beim Wuttig trifft auch die Eingangsvoraussetzung selbst zu.
Auffällig ist, wie kurz zumindest für einen Zweiteiler die Gesamtlänge der Gewindestange ist. Sie besteht ähnlich den dreizähligen Vettern allein aus dem knapp 1 Zentimeter langen Gewinde selbst. Es ist nicht die Stange, welche sonst oft möglichst tief in den Griff hineinreicht, sondern vor allem die innenseitig verdeckt entgegenragende, hülsenartige Verlängerung des Griffendes. Dies kann man bei oberflächlicherer Beurteilung ignorieren, tatsächlich spiegelt es aber eine keineswegs aufwandsfreie Detailverliebtheit der Schöpfer.
Der Kopf entspricht dann wieder der reduzierten Geometrie klassischer Offener Zahnkämme. In der Seitansicht bestehen sie im Prinzip aus zwei sich aneinander schmiegenden Tunnelgewölben. Ich mag die funktional überzeugende Simplizität dieses Entwurfs, dessen Übersichtlichkeit und Wendigkeit bei der Rasur.
Ein zweites gestalterisches Detail, das man keinesfalls übertrieben wichtig nehmen muss, mir aber erwähnenswert stimmig erscheint, sind die zwei sehr flach gekürzten Führungspins an der Unterseite des Kopfdeckels. Mitsamt eingelegter Klinge vollständig geschlossen ragen genau noch deren gerundete Kuppelenden durch die Bodenplatte hindurch, der glatt zylindrische Abschnitt schließt plan ab. Sehr hübsch.
Ich habe den Wuttig eine komplette Woche hindurch getestet. Als Rasiercreme habe ich durchgängig die Lavanda von Ach Brito gewählt, da sie unter den funktional Guten eine der hautschonenderen darstellt - schließlich eilt dem Wuttig ja ein Ruf voraus. Als Klinge sollte es aus ähnlichen Abwägungen eine Polsilver Silver Iridium werden.
Bei der ersten Rasur hatte der Hobel gleich gründlich zu tun. Auf ihn wartete das Gestrüpp von vielleicht einer guten Woche kaum gezügelten Wucherns - extra und mit Anlauf gezüchtet, da für mich Paradedisziplin und somit Pflichtparcours für jeden Zahnkamm. Auf solchem Terrain würde ich außerhalb von Tests zu stärker einweichenden Seifen tendieren. In diesem Fall wollte ich dem Rasierer es nicht zu sehr vereinfachen bzw. wollte besser vergleichen können zur alltäglichen Rasur. Zu behaupten, es sei keinerlei Ziepen zu spüren gewesen, wäre einseitig unkritisch. Fakt ist, dass er sehr mühelos und für den ersten Durchgang sehr gründlich abräumte.
Eine Besonderheit hatte es dort aber doch noch mit den längeren Bartstoppeln, zumindest den meinen: Zusammen mit den Adhäsionskräften des Wassers waren sie und die Riefen des Griffes so gut wie unzertrennlich.
Man verspürt den Wuttig in jeder Situation sehr direkt. Dies bezieht sich schon auch auf die Zähne, vor allem aber auf die Klinge und ist im weit überwiegenden Maße positiv gemeint. Er vermittelt ein sehr direktes Feedback zum Geschehen auf der Haut. Aus meiner Sicht wirkt das geringe Gewicht des Rasierers eindeutig vorteilhaft. Tatsächlich führe ich Hobel mit lediglich drei Fingern. Abwärts stabilisieren Daumen und Zeigefinger nur, das Gewicht steht allein auf dem Kleinen Finger auf. Dies bildet auch den Hintergrund, warum ich die normalen Grifflängen um die acht Zentimeter für mich als optimal empfinde
Wie zu beinahe jedem Thema gibt es auch zum Eigengewicht des Rasierers die unterschiedlichsten Philosophien. Ich bin dort prinzipiell nicht sehr wählerisch, habe keine ausgrenzenden Präferenzen, fühle mich aber dem Leitbild der Messerrasierer vom „Streicheln mit der Klinge“ nahe. Auf theoretischer Ebene habe ich mich schon oft gefragt, was das Eigengewicht eines Rasierers bringt, wenn ich von unten nach oben wider der Schwerkraft vorgehe?
Bevor ich jetzt ein stimmreiches „beschleunigte Masse“ ernte, setze ich dem die „Geschwindigkeit“ entgegen: Eine dem Erfahrungsgrad angepasste Verve ist eine viel zu selten genannte Einflussgröße.
Der zweite Durchgang gegen den Strich - eher ist es eine erprobter Mix aus quer und aufwärts - gehört für mich für ein zufriedenstellendes Ergebnis mindestens hinzu. Auch dieser wurde anstandslos absolviert. Das Ergebnis fiel tadellos aus, wobei hier noch vermerkt sei, dass vom langen Dickicht kommend meine Ergebnisse stets besser ausfallen, als vom kurzen Stoppelacker. Hierzu krampfe ich mir jetzt aber mal keine weitere Theorie mehr ab.
In der Praxis waren diese zwei Durchgänge mit dem Wuttig absolut ausreichend. Dies können nicht so viele Rasierer von sich behaupten.
Was die Gründlichkeit betrifft, finde ich den Vergleich zum Mühle R41 durchaus zulässig. Selten sind mir so zuverlässig so ordentliche, nachhaltige Rasuren gelungen. Allerdings muss ich trotz eher wenig empfindlicher Haut sagen, dass auch er – der Wuttig - nicht mein Daily Shaver würde. Auf der Skala des machbar Möglichen gibt es einen Punkt, zu dem irgendwann der Wunsch der Haut nach graduell lässigerer Nachsicht ruft. Und sei es nur der Abwechslung wegen.
Der wesentliche Unterschied dürfte sein, dass man mit dem Wuttig auch mit sehr viel flacher geführter Klinge verfahren kann. Und dann offenbart er durchaus auch zahmere Qualitäten. Wenn man genügend Eingewöhnungszeit absolviert hat, lässt sich abhängig von Hautpartie und deren situativer Disposition mit ihm gewiss sehr fein austarieren zwischen unaufgeregterer oder aber nachhaltigerer Rasur.
Dies führt mich zu seiner grundsätzlichen Einordnung: Der Wuttig ist ein sehr, sehr guter Allrounder. Er beherrscht Mehrtagebärte und überragende Nachhaltigkeit ebenso, wie zahmere Gangarten. Etwas spezieller zwar, könnte ich mir vorstellen, dass er mit seiner Vielseitigkeit zusammen mit seinem geringen Gewicht ein optimaler Trecking-/Hiking-Begleiter wäre.
Wem komplett unbehelligt durchdummelnde Gesichtshaut das allerwichtigste ist, wird sanfteres finden.
Einen Versuch mit dem Pass-Around kann ich in jedem Fall nur empfehlen. Vielen Dank,
@Hellas !