Ein Gruß an die Altvorderen …
oder
…einfach mal machen!
In den letzten Tagen nach der Vorstellung des
Paul A.Henckels mit der Schutzvorrichtung überlegte ich, wie ich denn dieses schöne, alte Messer schärfen werde. Dabei war mir allerdings eins schon von vornherein klar: Es wird definitiv nicht mit einem jNat gefinisht … schon um der Herkunft und der Geschichte des Messers willen. Ich dachte da eher an eine etwas standesgemäßere Progression und so ging ich in Gedanken erneut verschiedene Möglichkeiten und Progressionen durch, die dem geneigten Nutzer zur damaligen Zeit (so um 1910) zur Verfügung standen. Da fielen mir u. a. die beiden Belgier, der Blaue Belgische Brocken und der Gelbe Belgische Brocken, ein, evtl. eine 1-Stone-Progression oder doch lieber eine Kombination von beiden. Mitten in diese Überlegungen kam unverhofft ein Telefonat mit einem lieben Forumsmitglied, bei dem es um was ging? Natürlich um Messer und die lieben Steinchen. Mehrfach unterhielten wir uns dabei auch über Thüringer und deren sinnvollste und zweckmäßigste Anwendung … Dabei ging es schließlich auch darum, warum und wieso zu damaligen Zeiten ein „Thüringer“ fast immer mit einem dazugehörigen Anreiber angeboten wurde. In Bezug auf das Schärfen des Paul A. Henckels kam mir dann auch die Erinnerung an dieses Gespräch, mein Spieltrieb gesellte sich dazu und der Weg zu einer „standesgemäßen“ Progression für das Paul A. Henckels war gefunden …
…eine 1-Stein-Progression mit einem (hell)grünen Thüringer vom Setzen der Facette bis zum Finish.
Auch in Sachen Leder wollte ich im Rahmen und den Möglichkeiten der damaligen Zeit bleiben und ich entschied mich für ein Leder aus ausschließlich Rindleder. Dabei schließe ich bei späteren Nutzungen des Messers aber andere Möglichkeiten nicht aus. Nur für die Premiere sollte es aber in dieser Frage „standesgemäß“ sein. Einzig eine moderne Zutat lasse ich zu, das Tape. Mir geht es hier um die Erhaltung des ausgesprochen guten Gesamtzustandes des Rasiermessers, das schließt natürlich auch den Rücken ein.
Die Progression:
- (höll)grüner Thüringer & Anreiber
- SM-Riemen Nr.IV, hier ausschließlich die Seite mit Rindleder, Zwischenledern & finalen Keder
Wie auf dem ersten Bild zu sehen ist, bestätigt der Blick durchs Mikro wohl meine Vermutung, dass das Messer wohl tatsächlich noch den damaligen Werks- bzw. Auslieferungsschliff hat. Ebenfalls bestätigt ist meine Meinung zur Verarbeitung des Messers, so hat die Prüfung der Klingengeometrie keinerlei Mängel erkennen lassen. Nun konnte der „Erstversuch“ auf dem Thüri starten. Das Messer wurde mit 1 × Tape versehen und dem Thüri wurde mit dem Anreiber ein schön cremiger, satter Slurry entlockt. Bevor es jedoch mit meiner bewährten, alternierenden „Scheibenwischermethode“ losgeht, mache ich zuerst auf einer Seite einzelne Doppelschübe, um zu sehen, wie ich damit zur Schneidkante stehe. Siehe da, ich treffe auf beiden Seiten auf Anhieb durchgehend exakt die Wate. Nun geht es mit 20⇅ & 3⇅* los, alternierend mit Seitenwechsel von 20 runter bis zur 2, dann folgen drei Sätze Wechselschübe. Das Ganze bezeichne ich mal der Einfachheit halber als einen Durchgang. Nach dem ersten Durchgang hatte sich bereits (optisch) die Facette schön gleichmäßig über beide Klingenseiten herausgebildet. Jetzt folgt die Fleißarbeit bis zur Bildung der Grundschärfe an der Facette.
Dies ging aber wider Erwarten recht fix von der Hand. Nach gut drei Durchgängen mit jeweils neuem Slurry gelang es mir bereits mit dem aufgelegten Messer, meine noch spärlich vorhandenen Armhaare zu kappen … Tatsächlich hatte ich nicht erwartet, dass dies so schnell gehen würde. Den noch vorhandenen Slurry beließ ich auf dem Stein und ging jetzt dazu über, selbigen während eines Durchgangs herunterzudünnen und dann zu klarem Wasser (stationär) zu wechseln. Immer wieder folgten Kontrollen mit dem Mikro und nach gut drei Durchgängen mit klarem Wasser ging es zum ersten Mal an den HT … zuerst noch nicht durchgängig, nach einem Zwischenschritt mit 2 Sätzen aber deutlich besser und vor allem über die gesamte Klingenlänge. Ich wechselte zu reinen Wechselschüben und unterm Mikro war eine fortschreitende Politur der Facette erkennbar. Ich entschied mich, unter fließendem Wasser weiterzumachen, und dort zeigte sich bereits nach gut 3 Sätzen Wechselschübe ein ansteigender Widerstand auf dem Stein. Auch jetzt folgte ein kurzes Zwischenledern und ein sehr guter HT. Das Finale naht, das Messer bekommt ein zweites Tape und knapp 3 letzte Sätze unter fließendem Wasser, zuletzt das abschließende Ledern und auch eine letzte Kontrolle mit dem Mikro.
Kleines Fazit
Tatsächlich war ich recht überrascht, nicht unbedingt über das Endergebnis, das wäre meiner bescheidenen Meinung nach so oder so entstanden, nein, was mich verwundert hat, ist die Tatsache, dass alles recht schnell ging. Natürlich geht es mit einem guten GBB mit Sicherheit schneller, jedoch dürfte man da wohl auch mit Sicherheit Abstriche in den Rasureigenschaften erwarten können. Umgekehrt wird es bei einem Messer mit anderem Stahl, beispielsweise einem FRIODUR von J. A. Henckels (Zwilling), wohl auch deutlich länger dauern. Ich habe mit allem Drum und Dran knapp < 60 min „benötigt“. Dies mag lang erscheinen, man muss aber mit einbeziehen, dass da auch das Vorbereiten, die Kontrollen, Zwischenledern etc. dabei waren. Hier ging es mir um die Erfahrung und um die Tatsache, dass die „alte“ Technik, genügend Geduld und Spieltrieb vorausgesetzt, auch noch heute funktioniert. Man(n) muss es halt nur mal machen!
Die erste Rasur
Was soll ich
sagen, eh schreiben … ich bin begeistert!! Das Messer hat tolle Rasureigenschaften, super sanft und sehr gründlich, da gibt's nix zu mäkeln und ich bin wirklich sehr über dieses Ergebnis erfreut. Ich glaube daran, dass zu damaligen Zeiten (so um 1910) die Allgemeinheit bzw. deren Hautempfindlichkeit im Gesicht bei weitem nicht so ausgeprägt war wie heute. Auch mögen die Ansprüche an eine Rasur andere gewesen sein, und so bin ich davon überzeugt, dass dieses Messer mit seinen jetzigen Rasureigenschaften jedem Nutzer in seinem glattrasierten Gesicht ein äußerst breites Rasurgrinsen hervorgelockt hätte.
Zur RdT bitte
hier entlang…
Bis dahin … und immer neugierig bleiben!
Gruß
Gregor
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Schärf-Legende:
1 Satz sind immer 10 Wiederholungen (10 ×), egal ob Einzelschübe, Wechselschübe, Doppelzüge oder was auch immer, womit wodrauf gemacht wird.
*) Ein Durchgang „20⇅ & 3⇅“ bedeutet:
20 Schübe/Züge auf einer Seite, dann Seitenwechsel und 20 Schübe/Züge auf dieser Seite. Dann geht es alternierend je 2 Schübe/Züge bis runter auf die 0.
Die 3 bedeutet 3 Sätze à 10 Wechselschübe/-züge.
Als Zubehör/Werkzeug diente Bewährtes: Edding, Tesa-Tape, Uhrmacherlupe + Stirnhalter, Bin-Mikroskop, ne’ Schärfbrause, groovige Musik und eine Menge Spaß am Ganzen!