Hallo zusammen,
@Alvaro war so freundlich und hat mir angeboten, seine Steine auszuprobieren. Zusammen mit meinen ergibt sich ein Satz von insgesamt 4 Steinen. Meinen Anreiber-Kreter erwähne ich zwar hier mit ein paar Worten, verwendet habe ich ihn aber bei diesen Tests nicht, um die Beschaffenheit des Schleifschleims (Slury) der großen Steine nicht zu beeinträchtigen.
Hier sind die Kretischen Steine trocken:
Und so sehen sie nass aus:
Die beiden Steine unten im Bild kamen vom Alvaro.
Der helle fühlt sich recht grob an, der dunkle dagegen - ein echter Schmuckstück: die Oberfläche kommt halb durchsichtig vor und fühlt sich absolut glatt (wie Glas) an.
Ich weiss, es sind Ölsteine und werden seit der Antike mit Öl verwendet. Heute tauchen die Griechen gern diese Steine für mehrere Wochen in Olivenöl ein, die Steine sollen wohl dadurch an Härte gewinnen. Aber ich kann mich einfach nicht mit dem Schleifen der Rasiermesser auf Öl anfreunden. Küchenmesser - geht, die Stechbeitel - auch OK, aber bei den Rasiermesser mache ich wohl etwas falsch und bin nie mit Ergebnissen zufrieden, liegt sicher an mir. (Hab bisher nur Mischung aus Balistöl und Wasser erfolgreich einsetzen können, fühlt sich eigentlich auch mehr wie Wasser an, als wie Öl
).
Ich bleibe auch bei der Überzeugung, dass die Kretischen Steine ihre wahre Stärke beim Arbeiten mit dem Schleifschleim (Slurry) entfalten. Ich habe Küchenmesser auf Öl auf dem dunklem Stein vom Alvaro geschliffen und er hat nach einigen Zügen eine "Autoslurry" (dazu mehr weiter unten) ins Öl gegeben, was den Schleifvorgang massiv beschleunigt hat. Es kommt einem vor, als würde der Stein anfangen, den Stahl regelrecht zu fressen.
Außerdem beim Arbeiten auf Wasser mit Slurry decken die Kreter einen extrem großen Bereich ab und reichen vom Setzen der Facette bis mindestens zum Prefinisch aus. Die dunkleren Varianten lassen sicher, in der Hand eines Könners, mit Öl einen Finisch auf die Schneidkante legen. So könnte man eigentlich mit nur einem kretischen Stein auskommen (wenn man will
)...
Man könnte nun einbringen, dass der GBB (Coticule) - ja eigentlich auch den gleich-großen Bereich abdecken kann. Klar, allerdings dadurch, dass die Slurry des GBBs nicht zerfällt, muß die Phase des Verdünnens (siehe: Dilucot) genau auf die Stein-Metall-Hand- Kombination abgestimmt werden (zumindest so meine Erfahrung mit den Belgiern, die ich hatte). Verdünnt man zu schnell - bleibt die Schneide zurück.
Die Verdünn-Phase beim Kreter ist denkbar einfach: schön weiter kreisförmig schleifen und ab und zu einen Schuß Wasser dazu geben. Ich dippe die zusammengelegten Finger meiner linken Hand dazu in ein Wasserglas und übertrage das Wasser auf den Stein. Alternativ tauche ich das Rasiermesser ins Wasser ein. Man spürt am Feedback des Steins, ob der Schwapp nicht vielleicht zu groß war, in diesem Fall - einfach etwas länger drauf bleiben, bevor der nächste Schwapp von Wasser kommen kann.
Im Gegensatz zum GBB zerfällt die Slurry des kretischen Steins beim Arbeiten, was die Phase der Facetten-Verfeinerung massiv vereinfacht. Das Zerfallen erfolgt aber auch nicht so schnell, wie bei den japanischen Naturschleif-Systemen mit Mikawa-Naguras (ich kann natürlich nur von meinem Set sprechen), wo man die Slurry der Naguras ggf. mehrmals neu aufreiben muß. Die Kreter-Slurry bleib länger "standhaft" und zerfällt deutlich langsamer. Zu dem Zeitpunkt, wo die Slurry genug verdünnt ist, ist sie auch bereits fein genug, um auf "nur Wasser" wechseln zu können.
Nun zum "
Autoslurry" der kretischen Steine:
Mir ist klar, dass diese Steine, gerade beim Läppen sich als echt zähe Burschen erweisen und schon die eine oder andere Diamantenplatte auf dem Gewissen haben. Aber angerieben mit einem anderen kleinen stück Kreter, mit einem kleinen Arkansas oder einem anderen harten Anreiber gibt der Kreter recht schnell weiße Slurry ab. Schleift man mit einem verhältnismäßig höheren Druck (z.B. mit einem Küchenmesser) gibt der Stein definitiv Autoslurry ab, das merkt man am Abtrag und am körnigeren Geräusch, welches einsetzt. Auch da Öl wird mattig-trüb. Die Feinheit der sich im Slurry befindlichen Partikeln lässt sich durch Anreibmethode beeinflussen: angerieben mit z.B. einer groben Diamantplatte ist die Slurry grobkörnig und extrem aggressiv, der kleine Arkansas lässt den Kreter eine recht feine Slurry erzeugen.
Zwei der Test-Steine hatten in ihrer Mitte eine leichte Delle und mussten abgerichtet werden, das ist auch ein Indiz für die Abnutzung des Steins beim Schleifen.
Hier ein paar Bilder:
Bei meinem hellen Kreter richte ich regelmäßig die Oberfläche ab, weil sie sich mit der Zeit abnutzt. Ich hatte auch schon mal einen Kreter in der Hand gehabt, der auf der Arbeitsseite in der Mitte ziemlich stark ausgeleiert war. Es war mir damals ein Rätzel, wie das passieren konnte, heute weiss ich, dass die Kreter beim Arbeiten gar nicht soo hart sind.
OK, nun zum Test der 4 Steine.
Für die Tests habe ich meinen Test-Rasiermesser ERN 5/8 verwendet. Um möglichst "sauber" in die Tests zu starten, hab ich die Facetten mit meinem schwarz-Braunen unbekannten Stein auspoliert, das sieht dann unter dem Mikroskop (160x Vergößerung, Seitenbeleuchtung durch LED Tischlampe, aufgenommen mit einem Handy durch das Okular) so aus:
Ablauf:
1. Stein abrichten, falls gewünscht. Ich zeichne dafür eine Linien-Matrix mit einem Bleistift und führe einige Züge mit einer großen DMT Platte unter laufendem Wasser. Sollte der Stein Unebenheiten haben, sind diese deutlich zu sehen. Bei Bedarf verwende ich eine (bereits recht stark abgenutzte) "Extra Coarse Dia-sharp" DMT-Platte. Zum Schluß des Abrichtens wird die Oberfläche des Steins noch mit der (ebenfalls stark abgenutzten) "Fine Dia-Sharp" DMT-Platte mit wenig Anpressdruck verfeinert.
2. Rasiermesser-Schneide "töten" durch ganz leichtes Führen der Schneidkande über die Oberfläche eines kleinen transluzenten Arkansases (Slip-Stone).
3. Auf dem kreter Stein eine dünn-milchige Slurry erzeugen und die Facette wieder zurückholen. Auf den Kreter mit Slurry schleife ich hauptsächlich in kreisförmigen Bewegungen, das hilft die Mikro-Zähne an der Schneidkante zu reduzieren (diese Mikrozähne mögen bei den Küchenmessern gute Dienste leisten, bei den Rasiermessern versuche ich sie jedoch zu vermeiden). Ich setze beim Schleifen gern meine linke Hand unterstützend ein. Meist lege ich 3-4 Fingern auf die Hohlfläche des Rasiermessers auf. Der Druck ist minimal (quasi nur Berührung), nur um sicherzustellen, dass das Messer auf dem Stein flach aufliegt. Zum Testen, ob die Schneide "wieder da ist", habe ich mit dem R-Messer immer wieder schräg in die Haut einer Weintraube reingeschnitten: lässt sich die Schneide bei sachter Bewegung ohne eines spürbaren Widerstands in der Traube versenken, ist die Facette an dieser Stelle "wieder da". Meistens passiert es nach ca. 5-7 Durchgänge (bei einem Durchgang mach ich ca. 10-12 Kreisen je Richtung des R-Messers entlang des Steins). Nun reinige ich den Schleifschleim gründlich vom Messer ab (auf dem Stein bleibt der Schleim für die nächste Phase drauf), mache ca. 20 Züge auf sauberem Leinen-Gurt (um ggf. hängenden "Bart" von der Schneidkante zu entfernen) und betrachte die Schneide unter Mikroskop mit 160 facher Vergrößerung.
4. Nun kommt die Verdünn-Phase. Ziel dieser Phase ist, die Facetten und die Schneidkante möglichst weit zu verfeinern. Ich arbeite die Slurry vom letzten Schritt noch ein paar Durchgänge "ein" und fange an, sie zu verdünnen. Nach weiteren 4-5 Durchgängen bin ich fast auf Wasser. Ich wasche dann die Steinoberfläche sowie das Rasiermesser ab und mache noch 1-2 Durchgänge unter laufendem Wasser. Die Schärfe wird nach dem Abziehen auf dem Leinen-Gurt mittels Haartest (ich richte mich nach dieser Definition:
http://www.coticule.be/hanging-hair-test.html) am mitteldünnen Haar getestet. Wenn das Messer nun HHT3 besteht, habe ich meinen persönlichen "unteren Prefinisch-Level" erreicht und könnte das Messer auf einem Finischer meiner Wahl (nur auf Wasser) finischen.
Ich hab mich von den Steinen nicht rasiert. Die Schärfe, die ich mit diesem Verfahren und mit meinen Händen erreichen konnte, hat leider nicht ganz für einen Rasurtest gereicht. Meine Gesichtshaut-Barthaar - Kombination erfordert eine sehr scharfe Schneidkante (mindestens HHT4 an dünnsten Haaren, die ich finden kann). Das Ziel war vielmehr zu evaluieren, wie sich die Steine beim Setzen und beim Verfeinern der Facetten schlagen und auch wie weit sie in den Prefinisch reichen.
Nun meine Beobachtungen zu den einzelnen Steinen
Härte der Steine
Hier sind die Steine nach Härte (oben der weichste, unten - der härteste) sortiert:
Mein kleiner Anreiber:
Der große helle Kreter vom Alvaro:
Der große helle von mir:
Der dunkle lange vom Alvaro:
Der dunkle flache von mir
Die generelle Info, dass die hellen Kreter weicher sind, kann ich bestätigen.
Der kleine helle Anreiber hat sich in den 2 Jahren ganz schön abgenutzt und hat eine ordentliche "Senke" auf der Arbeitsseite bekommen. Ich bin sicher, die meiste Slurry kommt beim anreiben von ihm.
Die beiden großen hellgrauen sind vergleichbar weich, der helle vom Alvaro lässt sich etwas leichter mit DMT-Platte abrichten (und arbeitet auch gröber).
Der dunkle lange Kreter vom Alvaro ist deutlich härter als die hellen Exemplare (der feisnte von allen!), das Abrichten war deutlich aufwendiger. Ich konnte jedoch darauf, wie auch auf den Hellen, recht einfach eine Slurry mittels eines Arkansas-Slipstones anreiben.
Der dunkle flache Stein scheint noch mal härter zu sein (arbeitet allerdings nicht ganz so fein wie der dunkle vom Alvaro). Der Arkansas-Slipstein kann nach fleißigen Anreiben gerade mal das Wasser trüben, da musste ich mit der DMT-Platte und ordentlich Druck ran, um den Slurry zu erzeugen. Läppen dieses Steins ist echt eine Herausforderung. Der hatte im Auslieferzustand Absenkunden zu zwei Ecken hin, die mich zum Verzweifeln gebracht haben. Das Ende war, dass ich die Grenzen von der abgerichteten Fläche zu den Absenkunden mit einem schwarzen Marker gekennzeichnet hab, damit ich nicht mit dem Rasiermesser mal versehentlich drauf komme. Ich hoffe, dass diese irgendwann in der Zukunft mal langsam verschwinden.
Was die Haptik angeht, spiegelt das Gefühl der Finger auf der abgerichteten Fläche ganz gut die Feinheit des Steins wieder. Am rauesten fühlt sich die Fläche des hellen großen vom Alvaro an, dann folgt mein Heller, dann mit einem großen Sprung - mein dunkler Kreter. Der dunkle lange vom Alvaro weist eine super-glatte Oberfläche auf, die für High-End Finischer typisch ist.
Setzen der Facette mit Slurry.
Jeder der getesteten Kreter war ausreichend, um die am Arkansas-Slipstone "getötete" Schneidkande wieder zurückzuholen. Wobei der große Helle vom Alvaro ein besonders leichtes Spiel damit hatte. Seine Slurry fühlt sich beim Schleifen darauf sehr grobkörnig an, arbeitet super schnell aber dennoch ausreichend fein, ohne die Kante fortwährend abzustumpfen (Begriff bekannt als "Slurry-Dulling"). Bin sicher, dieser Stein lässt sich auch für größere Reparaturen/Restauration ohne Weiteres einsetzen. Die Slurry von den beiden dunklen Exemplare ist deutlich feiner, ich hab ein paar Durchgänge mehr gebraucht, um die Facette wieder scharf zu bekommen. Mein Heller liegt vergleichbar nah an dem Alvaros' Hellen.
Hier die Bilder der Schneidkante jeweils nach dem Setzen der Facette (160 x):
Verdünnen/Verfeinern der Facette.
Die beiden dunklen Kreter hatten hier klar die Nase vorn, wobei der lange vom Alvaro noch etwas feineres Ergebnis erreichten konnte. Beide lieferten einen sicheren HHT3 - HHT4.
Mein heller Kreter liegt dahinter, aber auch darauf konnte ich den HHT3 mit einer Extraportion Sorgfralt erreichen.
Trotz der Erwartung hat mich der grobe helle Stein vom Alvaro echt überrascht, ich konnte die Facette damit bis zum level von HHT2-HHT3 verfeinern und konnte danach auf meinem "La Dressante" Coticule, den ich stets nur mit Wasser verwende, mit ca. 100 ultraleichten Zügen finischen (hier wie ich es mache:
). So grob, wie sich dieser Stein beim Schleifen anfühlt, hätte ich nicht mit dem Ergebniss gerechnet!
Hier sind die Bilder der Facetten nach dem verfeinern:
Insgesamt muß ich sagen: das sind tolle Steine!
Sie verrichten beim Schleifen einen tollen Job, beim Einsatz mit Slurry decken sie einen wahnsinnigen Bereich ab.
Die einzelnen Exemplare können sich jedoch recht stark voneinander unterscheiden. Gerade, wenn man den Kreter als Finischer zu verwenden gedenkt, sollte man nicht "blind im Netz" bestellen, sondern lieber den Stein persönlich zu sehen und mal in der Hand zu halten. Am besten: so dunkel und dicht/glatt wie möglich, evtl. findet ihr einen halbdurchsichtigen Exemplar, wie der dunkle lange vom Alvaro!
Ich hoffe, das war für euch interessant!
Und vielleicht konnte ich den einen oder anderen von euch motivieren, seinen Kreter auch mal mit Anreiber auszuprobieren.
Frohes Schleifen!
Philipp