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Rasiermesser des 18. und frühen 19. Jahrhunderts

Hatzicho's Kotten

Hersteller/Händler
In diesem thread soll es um alte oder sehr alte Rasiermesser gehen. Ich hoffe das bei Euch hier einige Schätzchen auftauchen. Neben der reinen Vorstellung und Bestimmung von Rasiermessern aus diesem Zeitraum möchte ich auch die Unterschiede, Abgrenzungs- und Erkennungsmerkmale der verschiedenen Epochen herausarbeiten, auf entsprechende Literatur hinweisen und ein wenig die Geschichte der Herstellung und der Rasiermessermacher von damals beleuchten.

Viele Messer und eine gute Datenbasis gibt es hier für die Sheffielder Rasiermesser, auch eine stattliche Anzahl von Messern aus dem französischen Raum, aber leider sehr wenig Material und Informationen aus Deutschland, da die Rasiermesserherstellung zu dieser Zeit noch nicht im Fokus der Solinger Schneidwarenindustrie stand, sondern über ganz Deutschland verstreut war.

Aber nun erst mal genug der Vorrede und zur Einführung hier mal ein kurzer Blick auf einige meiner Schätzchen aus dieser Zeit:


IMG_20220612_101359114.jpg



Gut scharf!

hatzicho
 
Toll, so etwas hat gefehlt
Leider kann ich nichts beisteuern da meine beiden ältesten Messer da nicht ganz reinfallen.
Es ist ein altes englisches und ein Zwilling Messer die ich beide auf etwa 1860 einnorde.

PS: Ich finde es immer wieder toll wenn solche Messer solange überlebt haben
 
Hier zunächst eine kurze Einführung zu der verfügbaren Literatur zu dem Thema. Wie bereits erwähnt, ist für die Sheffielder Rasiermesser aus diesem Zeitraum einiges an Literatur zu finden, aber nur sehr wenig aus anderen Ländern.

Eine der bis heute besten Übersichtsartikel ist mittlerweile selbst als historisch zu bezeichnen. Er erschien vor fast 100 Jahren in der Zeitschrift Antiques mit dem Titel -Old Sheffield Razors- by Henry T. Lummus.
Es gibt einige Seiten im Internet, auf denen man den Artikel herunterladen kann. Hier ein Link zur Originalquelle, der Artikel beginnt auf Seite 261:

https://archive.org/details/sim_magazine-antiques_1922-12_2_6

Lummus beschreibt hier sowohl die Merkmale der Sheffielder Rasiermesser aus besagtem Zeitraum, als auch die Unterschiede und zeitliche Entwicklung, sowie zeitcharakteristische Merkmale. Die bedeutendsten Rasiermessermacher dieser Zeit werden kurz angeschnitten.
Eine Fortsetzung des Artikels erschien 1927 unter dem Titel -More old razors-.

Um alte Rasiermesser einem Hersteller zuordnen zu können, empfiehlt sich ein Blick in die sogenannten Sheffielder Directories. Das sind Listen mit Herstellern, die zum Erscheinungsdatum in Sheffield verzeichnet waren. Natürlich behandeln die Listen die gesamte Schneidwarenindustrie und nicht nur die Rasiermessermacher, es gibt aber entsprechende Unterkategorien für die einzelnen Handwerksberufe.
Darüber hinaus ist zu sagen, dass die Rasiermessermacher als solche erst zu Ende des 18. Jahrhunderts direkt aufgeführt wurden. Auch später noch taucht z.B. ein Scherenmacher, der auch Rasiermesser hergestellt hat, nicht unter den Rasiermessermachern, sondern den Scherenherstellern auf. Es empfiehlt sich also häufig, die Gesamtwerke zu Rate zu ziehen.
Die Directories führen die Handwerker auf und die von ihnen verwendeten Zeichen, geben aber sonst wenig Auskunft zu zeitlichen Daten oder Firmengeschichten.

Das älteste veröffentliche Verzeichnis ist das sogenannte SKETCHLEY’S Sheffield Directory. Es stammt von 1774. Wenig später, 1787 folgte das Verzeichnis von Gales & Martin. Es kann auf Google Books gelesen und downgeloaded werden.
Hier mal ein Ausschnitt um zu zeigen, wie die Verzeichnisse aufgebaut sind:

GM_1787_Bsp.jpg



1797 schließlich erschien das Directory von John Robinson. Es kann als Nachdruck im Internet bestellt werden. Und letztendlich 1816 das Commercial Directory von Wardle & Pratt.
All das sind -wie gesagt- Listen die wenig sonstige Informationen zu den Herstellern und Firmen liefern.

Die ausführlichste Literatur zu der Geschichte, zeitlichen Entwicklung und Hintergrundinformationen der Sheffielder Firmen bietet das „Tweedale`s Directory of Sheffield – Cutlery Manufacturers 1740 – 2013“. Es ist satte 728 Seiten dick und bietet eine Fülle von Informationen. Allerdings fehlt hier eine gegliederte Liste mit Namen und Zeichen/ Trademarks, so dass man ausschließlich nach Firmennamen suchen kann. Man muss also vorher anhand der auf dem Rasiermesser eingeschlagenen Zeichen (sofern direkt kein Name angegeben ist) in den anderen Listen schauen, wer der zugehörige Hersteller war.

So jetzt aber erst mal genug hierzu, das liest ja sonst eh keiner. Auf Spezialliteratur werde ich dann gesondert eingehen anhand von Beispielen.

Viele Grüße und „gut scharf!“

hatzicho
 
Dieser alte Engländer müsste glaub ich zeitlich hier hin passen.
Schalen aus gepressten Horn, 5/8 bis satte 5/8.
(mein ältestes und gleichzeitig teuerstes Messer in meinem Bestand)

P2.jpg


P1.jpg


P11.jpg

Falls noch nicht bekannt, eine Seite mit "älten Messern / Messerherstellern"
Gruß Brille
 
Hallo Brille,

und ob das hier her gehört! Sehr schönes Stück.
Die Packwoods sind besondere Rasiermesser und haben eine interessante, etwas nebulöse Geschichte.
George Packwood selbst war eigentlich kein Rasiermesserschleifer sondern „Razor strop maker“ – also Hersteller von Lederriemen (Strop maker klingt irgendwie besser :))
Er hat überdies Bücher geschrieben (The Goldfinchs nest – or the way to get money and be happy) sowie poetische Gedichte. Geboren wurde er 1755 and starb bereits 1811.

George Packwood.jpg


Es ist nicht bekannt, ob er jemals Rasiermesser selbst hergestellt hat. Aber als Strop maker war er sehr bekannt und erfolgreich. Seine Frau und Söhne führten die Firma wohl weiter.
Die Rasiermesser die ich bislang gesehen habe, stammen nahezu alle aus dem Zeitraum etwa zwischen 1820 und 1840.
In diesen Zeitraum würde ich auch Dein Messer datieren. In diese Zeit passen auch die gepressten Hornschalen mit den Figuren, so sie denn original sind, was aber den Anschein hat. Die gehen, soweit ich mich erinnern kann, in den frühen Jahren auf einen Hornpresser zurück, der erst ab etwa 1820 aktiv war. Ich kann aber momentan die Quelle für diese Behauptung nicht mehr finden.

Packwood stammte und lebte in London. Deswegen ist es auch schwer, hier zuverlässigere Daten zu finden, wer letztendlich die Rasiermesser tatsächlich produziert hat, da die Geschichte der Londoner Schneidwarenindustrie nicht ganz so gut dokumentiert und zugänglich ist, wie die in Sheffield.
In einem Londoner Buch aus dem Jahre 1858 ist folgende lustige Anekdote zu finden:

Packwood razors.jpg


Einige Packwood Rasiermesser haben interessante bunte Rücken, sind also mit ungewöhnlichem Filework versehen, welches die oftmals etwas globige Form und Geometrie der Messer deutlich auflockert.
Interessant ist auch, dass die meisten Packwoods bereits einen deutlichen Hohlschliff aufweisen, der zu dieser frühen Zeit eher ungewöhnlich war.
Hier noch ein Beispiel:

Packwood example.jpg


Gut scharf!
Peter
 
Wie schade, daß dieser threat im letzten Jahr so schnell zu Ende war... :confused: ...deswegen versuche ich ihn mal wiederzubeleben... :talker

Ein seltenes Rasiermesser mit viel Geschichte ...
WELDON (Arrow & Pipe) 4/8 Square mit Motiven von Wellington & Blücher auf den dekorativen Echthornschalen.

Als ich dieses Rasiermesser auf einer deutschen Waffenseite kaufte, wusste ich nur, dass er sehr alt und mehr als selten war.

WELDON,William Sheffield Pipe+Arrow 4-8 SQ Deco-Horn 1787-1837 egun.jpg


Als ich die Historie recherchierte, erfuhr ich, dass exakt dieses Messer im Januar 2017 in der ZDF Fernsehsendung "Bares für Rares" gezeigt wurde, wo es von einem Experten geschätzt und an einen Antiquitätenhändler verkauft wurde.
1816-1818 durch William Weldon von Colston Croft, Sheffield (1787-1837) mit lächelnder Wate handgeschmiedet und geschliffen, hat er diese Klinge in dekorativ gepresste Hornschalen geheftet, die das Bündnis des englischen Duke of Wellington und des deutschen Prinzen Blücher ehren, die kurz zuvor die Schlacht von Waterloo gegen Napoleon im Jahr 1815 gewonnen hatten.

WELDON,William Sheffield Pipe+Arrow 4-8 SQ Deco-Horn 1787-1837 WDR.jpg


Hier noch etwas Historie zu WELDON

WELDON,William Sheffield 1787-1837.jpg


Abgesehen von etwas Kohlenstoffpatina, einigen Rostflecken, wenigen Altersnarben und einer abgenutzten Wate unterhalb der Schulter, war der Ankunftszustand dieses Messers ausgezeichnet, insbesondere die Hornschalen waren gerade, detailscharf und ohne Käferfraß. Die anschließende Restauration gestaltete sich entsprechend einfach und nach dem Setzen einer neuen Wate und deren Schärfung ist die Rasurbereitschaft für die nächsten 200 Jahre wieder gesichert...
1f609.png


WELDON,William Sheffield Pipe+Arrow 4-8 SQ Deco-Horn 1787-1837 a+b.jpg


Es würde mich freuen, wenn dieser Threat nun wieder mit weiteren Schätzen belebt wird !
 
Hallo SolingerStahl,

ein sehr interessantes Messer hast Du hier vorgestellt. Nicht nur wegen den durchaus sehr schönen Schalen aus gepresstem Horn. Hauptsächlich wegen dem Hersteller bzw. der Prägemarke.
William Weldon war ursprünglich ein Scherenmacher und als solcher wird er auch im Gales & Martin Drirectory von 1787 geführt. Später dann hat seine Firma hauptsächlich Holzwerkzeuge wie Stechbeitel und Hobelmesser produziert.
An keiner Stelle wird jemals erwähnt, dass er selbst auch Rasiermesser produziert hat. Ich habe auch kein anderes Exemplar auf dem Netz oder in den Foren weltweit gesehen.
Auch die Prägemarke wird sowohl bei Gales & Martin als auch in den Büchern, die sich mit der Historie der Holzbearbeitungswerkzeuge befassen, immer nur mit dem Schriftzug „WELDON“ angegeben.

Die typische Marke bestehend aus Pipe and Arrow, also Pfeife mit Pfeil gehörte im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert der Familie Linley. Auch wenn die Pfeife als Markzeichen sehr häufig auch von anderen Firmen verwendet wurde, so ist gerade die Kombination von Pfeife und Pfeil und auch die Position in der diese beiden Elemente zueinander stehen, sehr typisch für die Linley Marke.
Hier mal ein Exemplar eines meiner Linley Rasiermessser aus dem Zeitraum 1760 – 1780, demnach entweder von John, vermutlich aber eher seinem Vater, William Linley, gefertigt.

Linley Al.jpg


Wie lässt sich die Kombination der Prägemarke erklären?

Durch einen Blick in die Familiengeschichte der Linleys könnte es folgendermaßen stattgefunden haben.
John Linley, in der Familie Rasiermessermacher von 1780 an, hatte einen Sohn, Thomas Linley. Dieser Thomas Linley ging in die Lehre bei einem Scherenmacher mit Namen William Weldon. Er erreichte seinen Freedom date, das ist etwa gleichbedeutend mit dem heutigen Meistergrad, nach dessen Erhalt man seine eigene Firma übernehmen darf und sein eigenes Zeichen eintragen lassen kann, im Jahre 1803. Es ist nicht ganz klar, ob und wann er in die elterliche Rasiermesserfirma zurück kehrte. Auf jeden Fall hatte Thomas Linley die Marke der Pfeife mit Pfeil noch 1839, bevor er sie 1842 an George Johnson verkaufte.

Wie auch immer. Auf jeden Fall bestand durch Thomas Linley eine Beziehung zwischen William Weldon oder seinen Nachfahren, die Holzwerkzeugen produzierten und der Rasiermesserschmiede der Linleys, die die Marke Pfeife und Pfeil besaßen. Denkbar ist beispielsweise, dass Thomas Linley das Rasiermesser für die Weldon Firma hergestellt hat oder das Weldon ein Linley Messer zusätzlich mit seinem Stempel versehen hat. Möglich natürlich auch, das Weldon die Lineley Marke zwischenzeitlich erworben hatte.

Ich habe mal eine Anfrage an die Cutlers company in Sheffield gestellt. Vielleicht bringen Infos aus den dortigen Markbüchern mehr Licht in die Zusammenhänge.

Gut scharf! hatzicho
 
Hallo Peter,
...interessante Theorie...
Denkbar wäre auch, daß Thomas LINLEY das Messer während seiner bei William WELDON hergestellt hat und sein Familienzeichen ARROW & PIPE nur zusammen mit dem WELDON Zeichen schlagen durfte, da er ja noch keine "Meister"-Prüfung abgelegt hatte... Bin gespannt auf eine Antwort aus Sheffield !

Die PIPE wurde ja vielfach genutzt, so wie hier bei meinem PIPE & STAR, ebenfalls einem Messer aus der Zeit um 1810-20, bei dem ich noch den Hersteller suche...

1810-20 PIPE&STAR Sheffield 4-8 Stubtail Horn a + NEVERSHED.jpg


Vielleicht weißt Du ja mehr darüber...?

Scharfe Grüße aus Solingen
Rainer
 
MAGORE ist mir beim besten Willen nicht bekannt... Kann es ggf. TAGORE heissen... ?
Es gibt viele RM von 1913-1915, die den Philosophen und Nobelpreisträger RABINDRANAT TAGORE ehren.
Ob der Begriff geschützt war ist nicht ganz klar, jedenfalls hat OTTO STAMM Solingen ihn offiziell auf den Erl gestempelt und hatte scheinbar die Rechte dafür.

Stamm,Otto Söhne Solingen BEST STAMM RAZOR 5-8'' Rund NobelPrice RabindrahatTagore schwarz a.jpg



Wenn's das ist, dann passt es aber eigentlich nicht zum Thema... vielleicht verschieben, bevor sich hier ein TAGORE threat entwickelt... :rolleyes:
 
MAGORE ist mir beim besten Willen nicht bekannt... Kann es ggf. TAGORE heissen... ?
Es gibt viele RM von 1913-1915, die den Philosophen und Nobelpreisträger RABINDRANAT TAGORE ehren.
Ob der Begriff geschützt war ist nicht ganz klar, jedenfalls hat OTTO STAMM Solingen ihn offiziell auf den Erl gestempelt und hatte scheinbar die Rechte dafür.




Wenn's das ist, dann passt es aber eigentlich nicht zum Thema... vielleicht verschieben, bevor sich hier ein TAGORE threat entwickelt... :rolleyes:
Danke für den Hinweis. Vielleicht hast du Recht, ich muss mein altes Messer nochmal genau unter die Lupe nehmen. Vielleicht habe ich das T als M misinterpretiert.
 
Ein typisches TAGORE sieht z.B. so aus... es gab verschiedene Nummern... hier ein schulterloses #620 Schorkopf mit ursprünglich 6/8 Breite...

Stamm,Otto Söhne Solingen TAGORE Solingen #620 BestSheffieldSteel 4-8'' French a + Box NOBEL P...jpg


Damit soll es jetzt aber auch gut sein und hoffentlich kommen jetzt weitere Antworten und Beiträge zum Thema der frühen Rasiermesser des 18. + 19.Jahrhunderts... ;)
 
Nochmal zurück zum Thema Weldon. Es gibt keinen einzigen Eintrag zur Firma in den Markbüchern der Cutlers Company in Sheffield. Offensichtlich war die Firma Weldon von Beginn an eher im Bereich Werkzeugmacher, denn als Schneidwarenfabrikant tätig, obwohl die ersten Einträge in den Sheffielder Directories ja beides suggerieren. In Sketchley‘s 1774er Directory wird er geführt als „wool shear and edge tool maker“ aber auch hier nicht unter der Rubrik cutler oder shear maker sondern unter -sundry manufacturers-, also „Verschiedenes“. In Sketchley’s ist übrigens noch der Markenschriftzug -W. WELDON- eingetragen, in Gales & Martin von 1787 nur noch WELDON.

Das erklärt, warum er keinen Eintrag in der Cutlers company hat, denn hier wurden wirklich nur Cutlery-Tätigkeiten, also Schneidwarenhersteller erfasst.

Es gibt auch keine Hinweise auf eine Kombination oder Ergänzung des Markzeichens WELDON mit Symbol Pfeife mit Pfeil. Im Gegenteil, es gibt eine Literaturstelle (leider ohne Quellenangabe), die explizit die Firma Weldon als Beispiel dafür erwähnt, das ein eingeprägter Markenname über mehr als 50 Jahre unverändert verwendet wurde, selbst als der Besitzer der Firma wechselte und nicht mehr aus der Weldon Familie stammte und auch selbst als das Tätigkeitsfeld sich änderte.

Weldon Mark.jpg

Die Archivarin der Cutlers Company konnte sich mit meiner Theorie der Entstehung dieser speziellen Markenkombination durchaus anfreunden, so dass dies immerhin eine plausible Möglichkeit darstellt. Letztendlich belegen werden wir es sicher nicht können, es sei denn ein Zufallsfund, etwa ein (seltener) Katalogeintrag aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert oder Ähnliches, hilft uns weiter.

Das Messer bleibt aber ganz sicher etwas Besonderes und Einzigartiges!

Gut scharf! hatzicho
 
Hallo Peter,
Vielen Dank für diese Recherche !
Das löscht bei mir viele Fragezeichen und erklärt, warum man von W.WELDON zwar viele Werkzeuge, aber kein weiteres RM findet !
Deswegen wird Thomas Linley auch sein Familienzeichen mit drauf geschlagen haben, um die Herstellung des RM zu legalisieren, da WELDON nicht im Schneidwarenregister eingetragen war. Ob es ein Einzelstück für einen besonderen Anlass war, z.B. ein Prüfungsstück für Thomas Linley oder eine kleine Serie, wird die Zeit zeigen... vielleicht findet sich irgendwann nochmal eins...

Scharfe Grüße aus der Klingenstadt
Rainer
 
In diesem thread soll es um alte oder sehr alte Rasiermesser gehen. Ich hoffe das bei Euch hier einige Schätzchen auftauchen. Neben der reinen Vorstellung und Bestimmung von Rasiermessern aus diesem Zeitraum möchte ich auch die Unterschiede, Abgrenzungs- und Erkennungsmerkmale der verschiedenen Epochen herausarbeiten, auf entsprechende Literatur hinweisen und ein wenig die Geschichte der Herstellung und der Rasiermessermacher von damals beleuchten.
Viele Messer und eine gute Datenbasis gibt es hier für die Sheffielder Rasiermesser, auch eine stattliche Anzahl von Messern aus dem französischen Raum, aber leider sehr wenig Material und Informationen aus Deutschland, da die Rasiermesserherstellung zu dieser Zeit noch nicht im Fokus der Solinger Schneidwarenindustrie stand, sondern über ganz Deutschland verstreut war.
Gut scharf!
hatzicho

Damit das hier nicht zu einer Sheffielder Veranstaltung mutiert, hier mal ein frühes deutsches Rasiermesser (auch wenn es gar nicht so aussieht) aus meiner Sammlung:

JOHANN DANIEL SCHWARTE war nicht der erste oder älteste Rasiermesserhersteller von Solingen. Er gründete seinen Betrieb aber schon 1820 am Grünewald im Stadtteil Dorp.
1985 registrierte er endlich sein schon länger benutztes Markenzeichen Nr.3971 Kl.9b * D S mit gekreutzten Schlüsseln und Dolch.
Aus der Zeit um 1840-60 müsste dieses exotisch aussehende Rasiermesser stammen, das wohl vorrangig für den Export in den nahen Osten hergestellt wurde.

Schwarte,Joh.Dan. Solingen D S (gekreuzte Schlüssel+Dolch) 4-8 SP Holzgriff a.jpg


Das Messer wirkt auf den Fotos größer als es ist, es hat gerade mal eine zierliche 4/8 Halbhohl-Klinge mit spanischem Kopf, die sich eigentümlicherweise nicht ganz in das gedrechselte Holzheft einklappen läßt. Die Perlenschnur entspricht wohl dem damaligen arabischen Geschmack.

Schwarte,Joh.Dan. Solingen D(Schlüsselkreuz+Dolch) 4-8 SP Holzgriff b.jpg


Ähnliche Messer gleicher Bauart sind auch von anderen Solinger Herstellern wie ERN und HERDER bekannt.
 
Schönes Exemplar mit wahrhaft exotischem Aussehen!

Ich fürchte allerdings, wenn wir uns hier eng an den vorgestellten Titel des Threads halten, wird die Übermacht der vorzustellenden Sheffielder Messer überwältigend sein. Danach kommen noch die Franzosen und dann lange nichts.

Es hat mich einige Jahre gekostet, endlich ein deutsches Rasiermesser zu finden, das tatsächlich aus dem 18. Jahrhundert stammt und bei dem ich den Hersteller zweifelsfrei zuordnen konnte. Da gibt es mehr Messer aus dem 16./ 17. Jahrhundert als aus dem 18. Jh.
Die Gründe hierfür habe ich noch nicht wirklich herausgefunden. Im ausgehenden Mittelalter gab es in Deutschland viele Städte, die für ihre Messermacher berühmt waren. Und die auch Rasiermesser hergestellt haben. Nicht allerdings Solingen!

In Solingen waren zu der Zeit noch stolze Schwertschmiede am Werk, es wurden überdies Langmesser und Besteckmesser hergestellt. Für die kleinen Taschenmesser und auch Rasiermesser hatte man zu der Zeit wenig übrig. Sie wurden schlichtweg nicht zu den Schneidwaren gezählt. So galten die Rasiermesser früher als Werkzeuge, wie man auch heute noch an der Firmenbezeichnung verschiedener Rasiermesserfabrikanten sehen kann „Friseurwerkzeuge“. Werkzeuge aber wurden traditionell nicht in Solingen hergestellt -hier saß ja die Schneidwarenindustrie- sondern im benachbarten Remscheid. Und genau hierher stammt auch mein Rasiermesser aus dem 18. Jahrhundert.

Aber zunächst zurück nach Solingen. Bezeichnenderweise war es kein Mitglied der Solinger Messermacherzünfte, der die Rasiermesserproduktion in Solingen salonfähig machte. Er war somit nicht privilegiert, die in den Zunftbestimmung aufgeführten Schneidwaren herzustellen und musste sich also auf diejenigen Messerarten konzentrieren, die im offenstanden. Die Rede ist von Daniel Peres. Er hat soviel für die Solinger Schneidwarenindustrie getan, dass ihm hier im Forum ein extra Thread gebührt. Der existiert vielleicht auch schon, da Peres Messer, mit dem typischen Markenzeichen des Fasses, bis in die 1970er Jahre produziert wurden und recht häufig noch zu finden sind.

Aber hier ein kurzer Abriss, da es ja auch zum Thema passt.
Daniel Peres wurde 1776 in Solingen als Sohn eines Spezereigeschäftsbesitzers (Gewürzhandel) geboren. Nach der Schule wandte er sich dem Handel mit Solinger Stahlwaren zu. Eine seiner größten Leistungen schon in jungen Jahren war die Entschlüsselung und Nachbildung der sogenannten schwarzen Politur, die den Sheffielder Schneidwarenfabrikanten zu jener Zeit einen großen Vorteil und damit eine marktbeherrschende Stellung bescherte. Dabei handelt es sich um ein Polierverfahren auf Basis von Eisenoxidverbindungen, die in England natürlich vorkommen und abgebaut wurden. Peres gelang es in jahrelangen Versuchen, durch Mischung verschiedener chemischer Eisenoxidverbindungen und anderer Zusätze, die Politur nachzustellen und somit den Vorteil der englischen Schneidwarenindustrie auf diesem Gebiet zu tilgen und die Solinger konkurrenzfähig zu machen.
Nach vielen Jahren Kampf erhielt er als Unprivilegierter im Jahre 1801 die Konzession zur Fabrikation von Scheren in Solingen. 1805 schließlich begann er Taschen- und Rasiermesser herzustellen.

Damit aber waren die Solinger nicht gleich und noch lange nicht führend im Bereich der Rasiermesserproduktion in Deutschland. Das dauerte noch fast 100 Jahre. Bis ins späte 19. Jahrhundert galten nach Hamburger Art geschliffene Rasiermesser als das Nonplusultra. So ist es in alten Barbierhandbüchern geschrieben, selbst auf Sheffielder Rasiermessern der Jahrhundertwende steht noch „Ground in Hamburg“ und 1884 widmete selbst die große New York Times den Hamburg-Ground Razors einen eigenen Artikel, ja mehr eine Lobeshymne. Solingen wurde erst mit der Entwicklung der Hohlschleifmaschinen um 1900 in den dann folgenden Jahrzehnten zum Zentrum der Rasiermesserproduktion in Deutschland. Aber das ist auch wieder ein eigenes Thema.

Damit mir hier keiner ob der etwas ausschweifenden Lektüre einschläft ….:mog1

Gleich geht’s weiter - in Remscheid,... auch mit Bildern!
 
Zurück ins 18. Jahrhundert, zurück nach Remscheid.

20220102_125844.jpg


Als ich dieses Messer erwarb, wandte ich mich zunächst wieder nach Sheffield. Nachdem aber Joan von der Cutlers Company abwinkte und meinte, -nicht aus Sheffield-, wanderte es erst mal in die Schublade für unbestimmte Messer. Nachdem ich es mir dann mehrfach wieder angeschaut hatte, kam mir der Schriftzug darauf seltsam bekannt vor. Scharff mit FF, das hast Du schon mal irgendwo gesehen, dachte ich. Es dauerte aber noch einige Zeit, bis ich mal wieder in meiner Sammlung Thüringer Wasserabziehsteine wühlte und plötzlich auf einem der rückseitigen Labels, den Deja-vu Effekt hatte. Richtig, die Firma Scharff & Kober mit Sitz in Remscheid und dem berühmten Logo des Pelikans. Vertrieb im 20. Jahrhundert Schneidwaren, Werkzeuge und andere Metallwaren. Aber war die Firma alt genug, um dieses Rasiermesser produziert haben zu können?

Nun, ein Blick in die Familiengeschichte genügte, um Gewissheit zu haben.
Gottfried und Josua Scharff gründeten eine Eisenwarenfirma im Jahr 1740. Während in Frankfurt die Handelsfirma saß, war Remscheid der Produktionsstandort insbesondere für Werkzeuge, aber auch andere Stahlwaren.

Im „Neuen Handlungslexikon“ aus dem Jahr 1790 steht zu lesen:

Scharff Auszug Handlungslexikon 1790.jpg


Gottfried Scharff in Frankfurt, hat sein Haus und Fabrik in Remscheid, in verfertigten Stahl – und Eisenwaren, insbesondere Werkzeuge …..

Das Messer weist alle typischen Eigenschaften der 18. Jh Rasiermesser auf. Eine durchgehende Linie zwischen Angel und Schneide ohne die sogenannte Schulter, die Klinge nach vorne hin breiter werdend - wenn auch nur gering aufgrund der bestehenden Abnutzung, der Rücken in der Stärke von vorne nach hinten kontinuierlich verjüngend und am Erl dünn auslaufend. Sehr schöne, echte Schildpatt Schalen, evtl. jedoch nicht original, da der Erlniet im Gegensatz zum Endniet nicht aus Messing besteht. Die Klinge weist einen geringen Nachschliff auf und ist auf den Fotos unrestauriert.

Scharff_12.jpg

Scharff_3.jpg


Noch zu erwähnen ist:
Es gibt auch vollhohlgeschliffene Rasiermesser des 20. Jahrhunderts der Firma Scharff & Kober. Außerdem hat ein Familienmitglied, Ernst Scharff, verschiedene Patente zu Sicherheitsrasiermessern Ende des 19. Jahrhunderts eintragen lassen, u.a. unter dem Namen Rapide, die dann später Fa. Henckels erwarb.

Gut scharf! hatzicho
 
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