Ein derber Zwilling…
Heute hatte das alte
J.A.Henckels (Zwilling) #21 seine erste Steinzeit. Im Vorfeld habe ich versucht, die Restaurationsversuche der oder des Vorbesitzers zumindest weitestgehend zu egalisieren. Als ich das Messer bekam, hatte die Klinge auf beiden Steiten nicht unerhebliche Schleifnarben von Schleifpapier und/oder ähnlichem. Neben der Verwendung von Schleifpapier in verschiedenen Körnungen bis hoch zum 1000‘er, habe ich zum Schluß versucht, der Klinge mit Unipol-Schleifpasten, Stahlwolle 0000 und Politur von Autosol ein wenig mehr Glanz zu geben.
Zu Anfang hatte ich mit vorgenommen, erneut eine Progression mit nur einem einzigen Stein (BBB) durchzuführen. Aber nach Prüfung der KLingengeometrie und in Anbetracht des, nicht gerade geringen Lächelns der Klinge wich ich von diesem Plan recht schnell, aber auch nicht gänzlich ab. So kam zum Setzen der Facette der Naniwa 1K zum Einsatz, den Rest bis hin zum Finish habe ich ausschließlich mit dem Blauen Belgischen Brocken (BBB) gemacht.
Progression
- 1 x Tape
- Naniwa 1K zum Setzen der Facette
- Blauer Belgischer Brocken (BBB) mit Anreiber & feine Dia-Karte
- Mein Self-Made-Riemen & Quercur Shell Cordovan
Die derbe Klinge ist für mich völliges Neuland und ich überlegte im Vorfeld, wie ich die Sache angehe. Die KLingengeometrie und das Lächeln der Klinge ließen mich aber dennoch nicht hadern, es wird wohl etwas schwieriger und dabei auch etwas länger dauern. Zu Anfang markierte ich die „Schneidkannte“, wenn ich sie so nennen darf, wie üblich mit einem Edding und es folgte ein erstes Testen auf dem 1K. Ganz schnell war klar, ohne Tape wird das wohl nix, also 1 Lage Tape und nächster Versuch. Das sah schon besser aus, bis auf den vordersten Kopfbereich und ca. 3mm am Ende der Klinge, konnte ich die Schneidkannte ganz gut erreichen. Wie weiter oben bereits erwähnt, wollte ich das Messer ausschließlich mit dem BBB schärfen, erste Schübe zum Setzen der Facette zeigten aber sehr schnell, dass dieses Vorhaben wohl auch Mr. Miyagi zu viel geworden wäre. Von der ehemaligen Schneidkannte war ja absolut nichts mehr da, das Messer hätte maximal noch als Buttermesser herhalten können. Also ging es auf den NANIWA 1K, und bitte nicht fragen, wie lange es gebraucht hat, hier eine brauchbare Facette zu setzen. Ich glaube, es war so in Richtung „Spielfilmlänge“…geschuldet dem Lächeln und leicht windschiefer KLingengeometrie. Der Kopfbereich stellte mich vor Probleme, die ich quasi im „Learning-By-Doing“-Verfahren bewältigen musste. Nicht nur das vorne der Kopf wohl mal zurechtgeschliffen wurde, ich gehe hier von einem Schaden aus, auch am Ende der Klinge gibt es so 2-3mm die völlig schief sind…Bei den „Scheibenwischer“- und Doppelschubbewegungen ging es gefühlt wie auf einer Achterbahn mit Schraubendrehereinlage…
Der Mittelteil machte zuerst den Eindruck, dass sich die Arbeit lohnt, es galt dabei aber zu beachten, dass die Facette nicht zu breit und zu ungleichmäßig wird, so mein innerer Monk. Also immer wieder versucht, ausschließlich den Kopfbereich vernünftig zu erwischen ohne den Mittelteil zu verhunzen…schwierig, schwierig…dennoch nicht unmöglich. Nach gefühlten 100 „Miyagi-Einheiten“ konnte ich mit dem Mittelteil tatsächlich meine spärlichen Armhaare (aufgelegt) kappen, also weitermachen. Nix zählen, nix grooven, aber auch nix aufgeben…bis es dann endlich so weit war, Arm- bzw. Beinhaare wurden bis auf den vordersten Kopfbereich von der gesamten Klinge gekappt, nicht mit Pling und freistehend aber immerhin, es wurde gekappt.
Das Tape wohl auch gefühlt zum x-ten mal gewechselt, kam jetzt endlich der Wechsel auf den BBB. Hier wollte ich die gleiche Vorgehensweise wie bei meinen letzten zwei Naturstein-Progressionen anwenden, also erst den „Scheibenwischer“ (15-12-10-8-5-3-1), dann der Wechsel zu Doppelschüben (3-4 Sätze). Den BBB angerieben und zu Anfang ein richtig zähen Slurry begann ich das Prozedere. Stellte sich für mich keine entsprechende Verbesserung der Schneidkannte dar, ging es wieder auf Anfang, neu angerieben, wieder beginnend mit dem „Scheibenwischer“ und zum Schluß mit Doppelschüben. Immer wieder Kontrolle mit der Lupe und dem Mikro, ließen mich aber doch so langsam wieder lächeln, es gab recht gute Fortschritte und nach gut 3 der o.g. Durchgänge, begann ich auch mit dem herunterverdünnen des Slurry. Dann kam der Moment, an dem ich den Stein reinigte und mit der feinen Dia-Karte angerieben habe. Was jetzt folgte, waren DS ohne Slurry, dabei galt es natürlich auch, sog. Autoslurry zu unterbinden und den Stein immer wieder mit klarem Wasser abzuspülen.
Auch hier habe ich nichts gezählt, was aber dazu kam, war groovige Musik und noch mehr Doppelschübe. Wie das Mikro & die Lupe aber zeigten, ließ sich die Klinge immer besser polieren, na bitte, scheint zu klappen. Voller Optimismus nach neuerlicher Kontrolle kam ein erster Haartest…Enttäuschend…weiter geht’s. Ob der folgenden Versuche mit einem Haartest überdrüssig oder Verzweifelung…Ich dachte da an ein Ledern, so zwischendurch, man(n) weiß ja nie…Ich ging aufgrund fehlender Erfahrung mit einer so lächelnden Klinge erst einmal auf den Juchten-Riemen, ich wollte beim Spanier nichts riskieren. Also mal einfach 2 Sätze geledert, ohne Erwartungen einen Haartest…und, siehe da, es funktioniert, noch nicht durchgängig, aber immerhin. Was folgte waren noch 2 Durchgänge auf dem Stein, immer wieder kontrolliert und dann entschied ich mich, zum finalen Ledern auf den Soanier zu gehen. Nach gut 5 Sätzen kurzes innehalten, ein Haartest versprach, der Spanier gibt der Klinge eine weitere Steigerung, es folgte noch gut 5-6 Sätze und zum Schluß klappte ein HT über die gesamte Klinge…Hurra! Es scheint vollbracht.
Fazit zum Schärfen
Die derbe Klinge mit ihren Eigenheiten, wie unregelmäßig (wohl nach-) geschliffenem Kopf, schiefer Geometrie und einem starken Lächeln zu schärfen, war eine Erfahrung der anderen Art. Es ist definitiv ein großer Unterschied zu meinen bisherig selbst geschärften Messern. Alle „Fehler“ der Klinge bei jedem Schub gleichzeitig zu beachten und auszugleichen war bei diesem Messer für mich sehr schwierig und im Detail noch mit Mängeln. Die Facette ist doch etwas breiter geworden, wie gewünscht, vielleicht wäre 2 x Tape sinnvoller gewesen, der Kopfbereich hat eine schwache Politur der Schneidkannte…alles in allem bin ich aber zufrieden. Ob ich mir so etwas nochmal antue? Man(n) wächst mit der Aufgabe…Einfach kann fast jeder. Letztendlich ist aber eine Schneidkannte entstanden, die sich jetzt in einer Rasur beweisen muss.
Meine erste derbe Klinge…und wow! die ist richtig gut. Nach den ersten Zügen dachte ich…oh je, stumpf, da passiert ja nix…von wegen nix, lautlos, klanglos, aaaber super sanft und gründlich. Da jibbet nix zu meckern! Vielleicht habe ich mit „derb“ eine neue Passion entdeckt, sogar gegen den Strich formidabel! Es fehlt zwar ein wenig die akustische Rückmeldung der Klinge, dies ist ja auch der Bauart geschuldet, dennoch überzeugt mich diese sanfte und rundum gründliche Rasur. Ich bin hochzufrieden, dieses alte Messer wird bei mir garantiert noch nicht in Rente geschickt und wird mit Sicherheit noch viele weitere Einsätze bekommen. Ich weiß, Eigenlob müffelt, aber vielleicht kann ich auf den Steinen ja auch mittlerweile was…auf alle Fälle hat sich die Mühe mit dem Messer gelohnt und nimmt mir auch ein wenig den Schrecken mit „schwierigen“ Messern…zumindest bis zum nächsten…
Gruß
Gregor
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Anm.: 1 Satz sind immer 10 Wiederholungen (10x), egal ob Einzelschübe, Wechselschübe, Doppelzüge oder was auch immer womit wodrauf gemacht wird.
Als Zubehör/Werkzeug diente bewährtes: U.a. Edding, Tesa Tape, Schußzähler, Uhrmacherlupe+Stirnhalter, Bin-Mikroskop, ne’ Schärfbrause, groovige Musik und eine Menge Spaß am Ganzen!