Gehen wir doch mal nach Schweden.
Natürlich kennt beinahe jeder die berühmten Heljestrands, Tornbloms, auch vielleicht Dahlgrens und Hellmanns. Die meisten dieser Firmen wurden aber erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet (Dahlgren 1870, J.A. Hellberg 1891, Klas Tornblom 1900) oder hatten ihre Hochzeit - die Rasiermesserproduktion betreffend - im 20. Jahrhundert (C.V. Heljestrand, gegr. 1808). Es gab aber auch schwedische Hersteller, die bereits im 18. Jahrhundert Rasiermesser produziert haben.
Aber gehen wir erst einmal der Frage nach, wie ist aus der kleinen Stadt Eskilstuna überhaupt ein skandinavisches Sheffield oder schwedisches Solingen geworden. Nun daran haben auch die Deutschen und Sheffielder einen Anteil.
Aber zunächst ein kleiner Vergleich. Um 1800 herum betrug die Einwohnerzahl in Eskilstuna ca. 1.500. In Sheffield lebten zu dieser Zeit etwa 46.000 Menschen. 1875 war die Bevölkerung in Eskilstuna auf immerhin 7.000 angewachsen – in Sheffield waren zu der Zeit bereits mehr als 15.000 Beschäftigte allein in der Schneidwarenindustrie angestellt. In Solingen betrug die Zahl der Berufstätigen in der Schneidwarenbranche zu dem Zeitpunkt etwa 50% im Vergleich zu Sheffield.
Eskilstuna war aber bereits seit dem Mittelalter bekannt für seine Produktion an Metallwaren. Im Jahr 1658 holte der damalige schwedische König Karl X. Gustav den Schmied und Kaufmann Reinhold Rademacher nach Eskilstuna, um der ansässigen Metallwarenindustrie neuen Auftrieb zu geben. Rademacher stammte aus Litauen, seine Vorfahren waren wohl deutschen Ursprungs. Er gründete eine eigene Siedlung nur für Metallwarenfabrikation. Sie ist noch heute bekannt unter dem Namen Rademacherschmieden -Rademachersmedjorna- und ist eines der ältesten Industriemuseen überhaupt. Wer mal in Eskilstuna ist, sollte hier unbedingt einen Besuch abstatten.
Im 18. Jahrhunderts wurden Klingen- und Messerschmiede zunächst aus Deutschland, später auch aus Sheffield angeworben, um die Schneidwarenindustrie weiter zu beleben.
Wer tiefer in die Geschichte Eskilstunas und auch anderer europäischer Standorte der Klingenherstellung einsteigen möchte, dem sei hier das Buch „Schneidwarenindustrie in Europa“ (Rheinland-Verlag GmbH, Köln 1994) empfohlen, aus dem auch für diesen Beitrag einige Daten entnommen wurden.
Nun aber zurück zu den Rasiermessern. Im Stadtmuseum von Eskilstuna finden sich folgende Ausstellungsstücke:
Dazu steht zu lesen:
Zwei Rasiermesser mit Prägestempel, hergestellt von Nils Grönstrand, der in Eskilstuna-Freistadt Messerschmied, Schleifer und Meister war. 1801 wurde er zum Stadtrat in Eskilstuna gewählt.
Nun das untere Messer ist hier sicher falsch platziert, es trägt auf der Rückseite den Stempel der Pfeife mit gebogenem Stiel und Pfeil, ist sicher Georg Wostenholm zuzuschreiben und mit seinen Merkmalen, auch wenn evtl. nachgeschliffen, eher in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts oder gar später einzuordnen. Aber das ober Messer dürfte unzweifelhaft von Nils Grönstrand hergestellt worden sein, es trägt den Stempel der Pfeife und darunter das gekrönte „E“.
Das Foto hat mir freundlicherweise mein Freund Torbjörn Erikssen zur Verfügung gestellt, der in Schweden lebt und eine Webseite unterhält, die sich mit historischen Messern aus Eskilstuna beschäftig. Hier zu finden:
https://eskilstunaknivar.se/
Im Laufe der Jahre haben sich auch zu meiner Sammlung einige Grönstrand Messer gesellt, die ich im Folgenden kurz vorstellen möchte.
Auch wenn das gekrönte E nicht bei allen Messern eindeutig zu sehen ist, sondern die Prägung häufig etwas verwischt wurde, so bestätigt doch die Betrachtung unter der Lupe die Herkunft recht eindeutig. Interessant ist auch, das sämtliche Messer mit Holzheft die gleiche Form und auch die identische Vernietung aufweisen, das damit auch als original angesehen werden kann.
Die Qualität der Grönstrand Rasiermesser ist im Hinblick auf Formgenauigkeit und Qualität des Schliffes herausragend! Nur wenige Sheffielder Messer erreichen diesen Grad an Genauigkeit. Doch dazu in einem anderen post mehr.
Hier jetzt noch einmal das erst kürzlich erworbene Prunkstück meiner kleinen Grönstrand Sammlung. Deutlich erkennbar ein Rasiermesser des späten 18. Jahrhunderts, der Erhaltungszustand ist nahezu NOS. Hier mal nicht gemarkt mit Pfeife, sondern dem Namen Grönstrand.
Gut scharf! hatzicho